Interview mit Agra-Europe

AGRA-EUROPE 18/23, 2. Mai 2023

Agrarstruktur

Ernährungssicherung kein Anlass für Kurswechsel

Staatssekretärin Nick: Klima-, Boden- oder Artenschutz dulden keinen Aufschub – Absage an „wachsen oder Weichen“ – GAP-Reform als Hebel – Betriebe brauchen Spielraum zur Entwicklung – Mehr Nachhaltigkeit als Orientierung

BERLIN. Gegen einen Kurswechsel in der Agrarpolitik spricht sich die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundes­landwirtschaftsministerium, Dr. Ophelia Nick, aus. ,,Wer jetzt kräht, Klima-, Boden- oder Artenschutz mit dem vorge­schobenen Argument der Ernährungssicherung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, der hat weder den Ernst der Lage erkannt, noch ist er ein Freund der Bäuerinnen und Bauern“, sagt die Grünen-Politikerin im Interview mit AGRA-EUROPE. Darin fordert sie erneut eine Abkehr vom Prinzip des „Wachsen oder Weichen“. Einen wichtigen Hebel dafür sieht sie in einer Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), bei der eine Förderung von Gemein­wohlleistungen an die Stelle des bisherigen Gießkannensys­tems treten müsse. ,,Wir wollen, dass die Landwirtschaft auch mit aktivem Klima-, Umwelt- und Artenschutz Geld verdie­nen kann“, betont Nick. Eine Absage erteilt die Staatssekretä­rin politischen Vorgaben für die Agrarstruktur. Den Betrieben will sie Spielräume eröffnen, sich zu entwickeln. Das müsse allerdings nicht immer Wachstum bedeuten, ,,zumindest nicht Flächenwachstum auf Kosten anderer“. Einen zukunftsfesten Betrieb machten Umwelt- und Gemeinwohlleistungen sowie die Fähigkeit aus, sich an veränderte Klimabedingungen anzupassen und frei von globalen Abhängigkeiten zu wirt­schaften.

Koalition muss entscheiden

Besorgt äußert sich die Staatssekretärin über die Auswirkungen der Klimakrise, aber auch der internationalen politischen Lage auf die hiesige Landwirtschaft. Den Aufbau riesiger Produkti­onskapazitäten in der Schweinehaltung in China wertet sie als Indiz, ,,dass diese Absatzmärkte für deutschen Produkte nicht wiederkommen.“ Verständnis zeigt Nick für die gegenwärtige Investitionszurückhaltung in der Tierhaltung: ,,Die Betriebe investieren erst, wenn klar ist, wohin die Reise geht.“ Die Grundrichtung sei klar, ,,es geht immer um N achhaltigkeit.“ Dies gelte in allen Bereichen, nicht nur für die Landwirtschaft. Viele Wirtschaftsunternehmen hätten die enormen Potentiale erkannt und richteten ihre Strategien darauf aus. Beim Umbau der Tierhaltung arbeite man nach Jahren des Stillstands mit Hochdruck an den dafür notwendigen Bausteinen. Nick räumt ein, dass die Finanzierung nicht gesichert ist und verweist auf ausstehende Entscheidungen der Koalitionsfraktionen.

AgE

 

Es geht immer um Nachhaltigkeit

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirt­schaftsministerium, Dr. Ophelia Nick, über den Umgang mit wachsender Unsicherheit für die Betriebe, Klima-, Umwelt- und Artenschutz als solide Einkommensquellen und den Zusammen­hang zwischen der GAP-Reform und „Wachsen oder Weichen“

Frau Dr. Nick, kaum haben die Grünen das Bundeslandwirt­schaftsministerium übernommen, schon verzeichnet die Land­wirtschaft die höchsten Einkommenssteigerungen der letzten zehn Jahre. Ist das schon der Özdemir-Effekt?

(lacht) Nicht vergessen, wir schauen hier das Wirtschaftsjahr 2021/2022 an. Aber es ist super, dass viele Betriebe gute Be­triebsergebnisse geschafft haben. Die guten Ergebnisse lassen viele Unternehmen durchatmen. Und ein Stück Özdemir-Effekt ist bestimmt auch schon dabei. Sicher ist, dass die Hilfsprogram­me von Bund und Ländern die negativen Folgen der Corona­Pandemie und insbesondere des verbrecherischen Angriffskrie­ges Russlands auf die Ukraine abfedern und zur positiven Bilanz vieler Betriebe beitragen konnten. Gerade bei letzterem haben wir als Bund sehr schnell, entschlossen und unbürokratisch ge­handelt.

Sie haben bei der Vorstellung der wirtschaftlichen Lage der land­wirtschaftlichen Betriebe wiederholt betont, Sie seien „stolz“ auf den Einkommensanstieg in der Landwirtschaft. Welchen Anteil hat Politik an der Einkommensentwicklung der Betriebe?

Natürlich sind wir stolz auf die Betriebe. Unsere Landwirtinnen und Landwirte sorgen schließlich dafür, dass wir uns jeden Tag mit hochwertigem Essen versorgen können. Aber schauen wir auf die Zeitreihe der letzten zehn Jahre, dann fällt eines besonders auf: Die Volatilität ist recht hoch. Das macht vielen Höfen Probleme. Uns ist es daher wichtig, dass die Landwirtinnen und Landwirte künftig stärker für ihre Leistungen im Tier- oder Kli­maschutz zuverlässig entlohnt werden und damit vor allem eine solide Einkommensquelle erschließen können.

Wie wichtig ist für Sie die Einkommensentwicklung als ein Grad­messer für die Agrarpolitik?

Die Betriebe müssen von ihrer Arbeit leben können. Das ist uns wichtig. Wie gesagt, es braucht solide Einkommensquellen. Wir arbeiten deshalb unter anderem mit Hochdruck am Umbau der Tierhaltung, verstärken unser Engagement für den Ökolandbau und setzen darauf, dass bei der EU-Agrarförderung die Reise in Richtung „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ geht. Wir wollen, dass die Landwirtschaft auch mit aktivem Klima-, Umwelt- und Artenschutz Geld verdienen kann.

Das Wirtschaftsjahr 2022/23 ist zu drei Viertel um. Welche Ein­kommensentwicklung erwarten Sie im laufenden Jahr?

Abgerechnet wird am Schluss. Das gehört sich so, alles andere ist unseriös. Sorgen machen uns natürlich die Auswirkungen der Klimakrise; die Einschläge kommen näher. Schauen Sie nach Spanien, Frankreich, Italien, Belgien. Klar ist, die Einkommens­entwicklung wird in den nächsten Monaten nicht allein vom Wetter abhängen, sondern auch von der internationalen politi­schen Lage und von den Entwicklungen auf den Weltmärkten. Und hierbei denke ich nicht nur an den verbrecherischen An­griffskrieg Russlands gegen die Ukraine. China baut inzwischen etwa riesige Produktionsanlagen für Schweinefleisch auf – ich fürchte, diese Absatzmärkte werden für deutsche Produkte nicht wiederkommen.

Zunehmende Ernährungsunsicherheit, steigende Ertragsschwankungen, wachsende internationale Spannungen – was bedeutet das für die hiesige Landwirtschaft?

Diese ganzen Unsicherheiten und Krisen zeigen uns doch eins deutlich: Wir müssen die Landwirtschaft dabei unterstützen, sich krisenfest aufzustellen. Resilienz statt „Wachse oder Weiche“, nachhaltige Erträge statt Ertragsmaximierung auf Kosten von Ressourcen. Wer jetzt kräht, Klima-, Boden- oder Artenschutz mit dem vorgeschobenen Argument der Ernährungssicherung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, der hat weder den Ernst der Lage erkannt, noch ist er ein Freund der Bäuerin­nen und Bauern. Denn in genau diesem System des Wachsens oder Weichens mussten in den letzten Dekaden ja zehntausende ihre Hoftüren schließen. Nehmen Sie die Schweinebetriebe: Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Zahl der schweinehalten­den Betriebe in Deutschland halbiert!

Große Betriebe waren auch im abgelaufenen Wirtschaftsjahr im Grundsatz erfolgreicher als kleine. Welche Rolle spielt Wachs­tum für die wirtschaftliche Entwicklung und die Existenzsiche­rung von Betrieben?

Vorweg: Entwicklung ist wichtig, genauso wie wirtschaftlicher Erfolg. Das muss nicht immer Wachstum heißen, zumindest nicht Flächenwachstum auf Kosten anderer. Hier müssen wir Fehler der Vergangenheit korrigieren. Lange galt: Wer viel Land hat, bekommt viel Agrarförderung. Das setzt falsche Ameize. Wie gewirtschaftet wird, das spielt bislang noch keine ausrei­chend große Rolle. Problematisch ist auch, dass Flächenprämien von den Verpächterinnen und Verpächtern „eingepreist“ werden können und damit oftmals dort landen – und eben nicht zum landwirtschaftlichen Einkommen derjenigen beitragen, die den Acker tatsächlich bestellen und alle Risiken tragen. Anders sieht es bei der Honorierung von Umweltleistungen aus. Hier können keine Flächenprämien antizipiert und in die Pachtpreise einkal­kuliert werden.

Will die Bundesregierung betriebliches Wachstum befördern oder bremsen?

Wichtig ist zweierlei: Erstens eine vielfältige Agrarstruktur, die für einen starken ländlichen Raum und gute Arbeitsplätze sorgt. Und zweitens starke Betriebe, die eine zukunftsfeste Landwirt­schaft betreiben und davon ein gutes Einkommen erwirtschaften.

Wenn Sie sagen, die Bundesregierung möchte das Prinzip „ Wachsen-oder-Weichen“ durchbrechen wie wollen Sie das Ziel erreichen?

Da müssen wir an vielen Stellen ansetzen, ich hatte das ja schon kurz angesprochen. Ein wichtiger Hebel ist zweifelsohne die GAP. Sie ist der größte Topf, den wir in der Agrarpolitik haben und der mit jährlich mehreren Milliarden Euro mitbestimmt, welche Landwirtschaft sich lohnt. Bei der nächsten Reform der GAP setzen wir uns deshalb dafür ein, dass statt des Gießkan­nensystems in erster Linie Gemeinwohlleistungen gefördert werden.

Sie haben den Ökolandbau als Ihr agrarpolitisches Leitbild ausgerufen. Folgt dem ein agrarstrukturelles Leitbild?

Wir brauchen eine gesunde und vielfältige Agrarstruktur, aber die lässt sich ja nicht verordnen. Sie können aber die Vorzüglich­keit erhöhen für Parameter, die einen zukunftsfesten Betrieb ausmachen. Das sind in der Regel Umwelt- und Gemeinwohl­leistungen zum einen und resiliente Systeme oder Betriebe zum anderen. Was die Umwelt- und Gemeinwohlleistungen angeht: Hierbei geht es unter anderem um Klima- und Biodiversitäts­schutz, um artgerechte Tierhaltung und gute Arbeitsplätze. Diese Leistungen müssen künftig entsprechend honoriert werden. Und was die Resilienz angeht: Zukünftig wird es immer wichtiger, dass Betriebe an veränderte Klimabedingungen angepasst und möglichst frei von globalen Abhängigkeiten sind. Der Ökoland­bau bietet hier sehr gute Lösungsansätze und Innovationen, die für die gesamte Landwirtschaft interessant sind. Kommen Sie mal im Juni zu den Öko-Feldtagen nach Baden-Württemberg. Da sehen Sie, welche Innovationskraft im Ökolandbau steckt.

Sie haben darauf hingewiesen, gute Ergebnisse gäben vielen Betrieben Spielraum für Rücklagen und für Investitionen in die Zukunft ihrer Höfe. Derzeit sind allerdings die Investitionen in Ställe nahezu zum Erliegen gekommen. Wie erklären Sie sich das?

Die Betriebe warten ab, und das ist ja nur verständlich. Wer in­vestiert schon, wenn er jahrelang nicht wusste, wie es weiterge­hen wird? Ein Stallumbau kostet sehr viel Geld. Sie investieren erst, wenn klar ist, wohin die Reise geht. Wir sorgen jetzt durch unterschiedliche Bausteine des zukunftsfesten Umbaus der Tier­haltung für Planungssicherheit. Das schließt ein Bundespro­gramm zur Förderung der besonders tiergerechten Haltungsfor­men em.

Die Ampel hat sich bislang lediglich auf Teile für ein Konzept zum Umbau der Tierhaltung verständigt. Bis wann werden die offenen Fragen insbesondere der Finanzierung gelöst?

Nach Jahren des Stillstands arbeiten wir mit Hochdruck an den notwendigen Bausteinen für den Umbau der Tierhaltung: der Tierhaltungskennzeichnung, einem Förderprogramm für Stall­umbauten, baurechtlichen Änderungen sowie Konkretisierun­gen im Bereich des Immissionsschutzes, die auf den Weg gebracht werden sollen. Die staatliche, verpflichtende Tierhal­tungskennzeichnung, die Grundlage für alles ist, ist geeint und kommt nun endlich. Was die Finanzierung angeht, hat Cem Özdemir jetzt schon eine Milliarde Euro für den Start gesichert. Für den zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung wurden von einer Bundesregierung noch nie so viel Mittel bereitgestellt wie in dieser Legislatur! Aber das reicht natürlich nicht. Sie wissen, über das Geld entscheidet das Parlament als Haushaltsgesetzge­ber, nicht das Ministerium. Die Koalitionsfraktionen verhandeln gerade über die Anschlussfinanzierung; die unterschiedlichen Optionen liegen auf dem Tisch. Jetzt braucht es Entscheidungen. Klar ist: Den Umbau der Tierhaltung können wir nicht allein machen; hier ist Teamwork gefragt. Höfe, Tiere und Klima brau­chen jetzt Zusammenarbeit statt Parteipolitik – im Bund und in den Ländern.

Erwarten Landwirtinnen und Landwirte zu viel von Politik?

Wir Politikerinnen und Politiker im Bund und in den Ländern sind für die Rahmenbedingungen zuständig. Hier erwarten die Landwirtinnen und Landwirte, die sich ja in erster Linie als Un­ternehmerinnen und Unternehmer sehen, zurecht Planungssi­cherheit – und daran arbeiten wir. Wohin die Reise geht? Es geht immer mehr um Nachhaltigkeit – übrigens in allen Bereichen, nicht nur in der Landwirtschaft. Darauf kann man sich einstel­len. Viele Wirtschaftsunternehmen haben die enormen Wachs­tumspotenziale erkannt und richten ihre Strategien darauf aus.

Sie sind seit anderthalb Jahren im Amt. Was hat Sie seit dem Wechsel in die Bundespolitik am meisten überrascht?

Überrascht hat mich, wie weit manche Debatten von der Wirk­lichkeit entfernt sind. Da werden etwa vermeintliche Konflikte beschworen, die es in der Praxis gar nicht gibt. Die Interessen hinter solchen hanebüchenen Erzählungen kann ich nur erahnen – oft sind das tradierte Ängste. Dafür habe ich Verständnis, aber Angst ist kein guter Begleiter und nicht zweckdienlich, schon gar nicht in der Politik.

Was ist das wichtigste Ziel, das Sie in den verbleibenden zwei­einhalb Jahren erreichen wollen?

Wir haben viele wichtige Vorhaben, angefangen bei der zukunfts­festen Tierhaltung über den Öko-Ausbau bis zur Neuausrichtung der GAP. Davon abgesehen möchte ich aber ein Ziel hervorheben, das nicht im Koalitionsvertrag steht. Die Landwirtschaft leistet viel und hat viele Potentiale. Diesen Wert für unsere Gesellschaft be­greiflich machen, das ist uns wichtig. Es ist eben nicht selbstver­ständlich, dass wir jeden Tag mit frischen und hochwertigen Pro­dukten versorgt sind. Als Politik und Landwirtschaft müssen wir es schaffen, ein gemeinsames, positives Zielbild zu vermitteln. Der Bericht der ZKL ist dafür übrigens eine wunderbare Grundlage.

 

Vielen Dank.

AgE

 

 

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