
Ophelia Nick: "Pflanzenschutz ist komplexer als Agrarchemie"
Ophelia Nick: "Pflanzenschutz ist komplexer als Agrarchemie"
Weniger Pflanzenschutz mehr Fruchtfolge: Für die grüne Agrarsprecherin Ophelia Nick hat die Schilfglasflügelzikade trotz Wirkstofflücke nicht das letzte Wort. Beim Genome Editing sieht sie Risiken.
“Im Ackerbau und Obstbau wurde im Pflanzenschutz schon viel verbessert.”
top agrar: Frau Dr. Nick, die Schilfglasflügelzikade wird zu einer ernsten Bedrohung für den heimischen Ackerbau. Hohe Ertragsausfälle bei Kartoffeln und Zuckerrüben können aktuell nur mit Notfallzulassungen verhindert werden. Haben wir eine Wirkstofflücke in Deutschland?
Nick: Die Lage ist bei diesen Kulturen wirklich dramatisch. Die Frage ist aber falsch herum gestellt. Ich denke nicht, dass mehr zugelassene Mittel in diesem Fall dieLösung sind. Natürlich braucht es in akuten Befallssituationen schnelle Reaktionen, auch in Form von Notfallzulassungen. Die Grünen haben das auch mitgetragen.
Landwirte klagen jedenfalls über eine seit Jahren schleppende Zulassungspraxis. Woran liegt das aus Ihrer Sicht und was könnte besser laufen?
Nick: Die Zulassungen erfolgen in Deutschland nicht so langsam, wie manche meinen. Die Zulassungsstellen sind auch gut aufgestellt, dafür haben wir in Regierungszeiten auch mit einer Aufstockung der Personaldecke im Bundesamt fürVerbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gesorgt.
Ich wehre mich aber gegen die Idee, dass mehr chemischer Pflanzenschutz irgendwelche Probleme lösen würde. Sicher müssen wir moderne, zielgenauere und verträgliche Wirkstoffe haben. Pflanzenschutz ist aber komplexer als Agrarchemie.
“Ich wehre mich gegen die Idee, dass mehr chemischer Pflanzenschutz irgendwelche Probleme lösen würde.”
Ein großes Projekt Ihres Parteikollegen Cem Özdemir als Agrarminister war das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“. Das gilt allerdings als gescheitert, auch wegen der hohen Reduktionsziele für den chemischen Pflanzenschutz. Waren 50 % weniger bis2030 zu ambitioniert oder sehen Sie hier weiter eine Notwendigkeit?
Nick: Das Reduktionsziel stammte aus der „Farm to Fork-Strategie“ der EU. Das„Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ war der Versuch, dieses Ziel im Dialog mit denLandwirten zu erreichen. Es ging hier nie um Verbote, sondern darum, gemeinsam mit der Branche und Fachleuten Wege zur Senkung des Mitteleinsatzes zu finden.Es sollte eine Weiterentwicklung des Pflanzenschutzes sein. Auch deshalb finde ich es dramatisch, dass das Zukunftsprogramm von der jetzigen schwarz-rotenKoalition ersatzlos abgeschafft wurde.
Wie könnte man den chemischen Pflanzenschutz weiter senken, ohne dass die Ertragssicherheit und Wirtschaftlichkeit des deutschen Pflanzenbaus einbrechen?
Nick: Im Ackerbau und im Obstbau wurde in puncto Pflanzenschutz schon vielverbessert. Die Ausbringung muss aber noch zielgenauer und dosierter erfolgen, um den Impact auf die Tiere und Pflanzenwelt so gering wie möglich zu halten.
Alternative Pflanzenschutzmethoden müssen ausgebaut werden. Allein über eineweite Fruchtfolge kann schon so viel erreicht werden.
Was wir unbedingt vermeiden müssen, ist, in die alten Grabenkämpfe zu verfallen.Die nutzen niemandem etwas, am allerwenigsten den Höfen. Nur, damit ich nichtfalsch verstanden werde: Die Landwirte verschließen sich nach meiner Erfahrungam wenigsten, wenn es um neue Ansätze beim Pflanzenschutz geht.
“Was wir unbedingt vermeiden müssen ist, in die alten Grabenkämpfe zu verfallen. Die nutzen niemandem etwas.”
Sie haben die Verdienste unter anderem der Obstbauern bei der Verbesserung desPflanzenschutzes angesprochen. Kürzlich wurde in einem Tatort aber gerade zum Thema Pflanzenschutz wieder einmal viele Stereotypen aufgefahren. Halten Sie das in der öffentlichen Debatte für zielführend oder werden so nicht genau diese Gräben aufgerissen?
Nick: Den Tatort habe ich nicht gesehen und ich will da auch nicht zu viel hineininterpretieren. Das Thema Pflanzenschutz wird aber nun einmal in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert und es gibt da gesellschaftliche Erwartungen, die von der Landwirtschaft ernst genommen werden müssen.
Ich war deshalb ein Fan von der Zukunftskommission Landwirtschaft und vom Zukunftsprogramm Pflanzenschutz, weil hier die gegenseitigen Erwartungen von Landwirtschaft und Gesellschaft fair ausdiskutiert werden konnten.
Gibt es Bereiche, in denen chemische Pflanzenschutzmittel auch langfristig nichtvollständig ersetzbar sind?
Nick: Selbst im Ökolandbau werden Pflanzenschutzmittel eingesetzt, seien es biologische oder auch Kupferpräparate. Zur Ertragssicherung und zur Absicherung der Lebensmittelversorgung wird sich die Frage, ob chemischer Pflanzenschutz notwendig ist, immer wieder stellen. Die wichtigen Fragen sind aber die, ob, wann und wieviel eingesetzt wird. Ich finde, da kann der konventionelle Anbau noch viel vom Ökolandbau lernen.
“Zur Ertragssicherung und zur Absicherung derLebensmittelversorgung wird sich die Frage, ob chemischer Pflanzenschutz notwendig ist, immer wieder stellen.”
Mechanischer Pflanzenschutz und andere alternative Verfahren haben in der Praxis ihreGrenzen und seien es die Kosten. Manchen gelten die Genomischen Technologien aber als „Stein der Weisen“, um schneller zu resistenten Kulturpflanzen zu kommen. Könnten Sie sich einen Einsatz von Genome Editing vorstellen, um von chemischen Wirkstoffen wegzukommen?
Nick: Wir sind nicht grundsätzlich gegen genomisch veränderte Pflanzen. Wir sehen aber auch Risiken, die damit verbunden sind und fordern eine klare Kennzeichnung solcher Pflanzen und Produkte. Die großen Versprechen, die mit genomeditierten Sorten verbunden werden, müssen sich in der Praxis auch noch erweisen.
Sie dürfen nicht vergessen: Nach wie vor lehnt eine große Mehrheit in der Bevölkerung gentechnisch veränderte Pflanzen ab. Da dürfen wir uns nicht drüber hinwegsetzen.
Warum ist Glyphosat für die Grünen so ein Rotes Tuch? Toxikologisch gehen die Meinungen bei dem Wirkstoff auseinander. Würden Sie auch neuentwickelteTotalherbizide politisch so bekämpfen?
Nick: Früher wurde auf dem Acker hinter meinem Haus Glyphosat ausgebracht. Danach gab es dort kein Leben mehr, auch keine Insekten. Das finde ich verstörend und ich meine, dass diese Art von Totalherbiziden einfach nicht gut für die Natur ist.
Dass solche Mittel heute viel sparsamer und in größeren Abständen angewendetwerden, ist für mich schon ein Gewinn. Es widerlegt auch das alte Argument, dass moderner Ackerbau ohne Glyphosat nicht funktioniert. Und die regenerative Landwirtschaft zeigt, wie es noch besser geht.
Vielen Dank für das Gespräch!








