Von Vorreitern lernen – Mein Besuch in Kopenhagens Kantinen

Mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und mehr Bio in den Kantinen der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung Dänemarks – Kopenhagen geht voran und das zum Vorteil für Kinder, Jugendliche, Patientinnen und Patienten und auch der Umwelt. Aufgrund der starken Nitratwerte im Wasser hat sich Dänemark schon vor über 20 Jahren mit einem klaren Ziel auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit gemacht. Von meinem Besuch bleibt ein Gefühl besonders hängen: Ich bin beeindruckt! Beeindruckt von der klaren Vision, der klaren Entscheidungskraft und der klaren Neuausrichtung im Bereich der Kopenhagener Gemeinschaftsverpflegung.

Nach zwei Tagen in Kopenhagen gehen wir alle mit einem Koffer voller Inspirationen und Motivation zurück nach Hause. Organisiert von der Dänischen Botschaft habe ich und mein Team zusammen mit Kolleg*innen aus dem Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium, der Länderministerien, Köch*innen und anderen Ernährungsgestalter*innen verschiedene Küchen, Kantinen und Kochschulen angeschaut.

Schnell wurde deutlich, dass man in Dänemark ohne große Diskussion sagt: Das ist unser Ziel und das ist gut für den Hof – und auch für den, der vor dem Teller sitzt und isst. Hier in Deutschland werden solche Positionen schnell zerrissen. Wir haben ein Problem, wenn wir nicht von Zielen und Visionen sprechen dürfen. Es wird zerredet, bevor wir angefangen haben! Dabei zeigen die Kopenhagener Best-Practice Beispiele, dass es möglich ist, Visionen umzusetzen, und das motiviert mich.

Nun aber ein Blick in die beeindruckenden Schul- und Krankenhauskantinen, die wir besichtigen durften. In Kopenhagen gibt es 19 sog. Food Schools, also Schulen, die das Kantinenessen der Zukunft bereits umsetzen. Eine davon, die Madskole, haben wir besichtigt.

Das Mittagessen wird in einer vollständigen Frischeküche täglich frisch zubereitet und gekocht. Verwertet werden zu 90 Prozent Bio-Produkte. Auf vorverarbeitete Produkte wird verzichtet – alles wird selbst hergestellt. Schülerinnen und Schüler helfen dabei mit. In dieser Madskole kochen im wöchentlichen Wechsel sechs verschiedene Schülerinnen und Schüler mit ausgebildeten Köchinnen und Köchen täglich 500 Mahlzeiten. Dabei lernen die Schülerinnen und Schüler nicht nur kochen, sondern entwickeln auch Wertschätzung für Nahrungsmittel. Die Schülerinnen und Schüler dürfen sogar Menüplan-Wünsche äußern. Somit sind sie auch an dieser Gestaltung beteiligt. Zur Mittagszeit sitzen sie gemeinsam an langen Tischen. Sie nehmen nur so viel, wie sie essen möchten und lernen gleichzeitig zu teilen. Wenn die Schüsseln leer sind, gehen sie eigenständig in die Küche und füllen sie wieder auf. Es wirkt, als sitze eine Familie gemeinsam am Tisch zusammen. Es ist ein tolles Miteinander und gleichzeitig entstehen weniger Lebensmittelabfälle. Aber auch die Lehrerschaft muss überzeugt und mitgenommen werden, denn sie haben eine Vorbildfunktion. Sobald sie mittags mit am Tisch sitzen, haben wir schon viel erreicht! Ein Mittagessen kostet den Schülerinnen und Schülern zwei bis drei Euro – die Stadt Kopenhagen finanziert diese Maßnahmen mit. Das Bildungsministerium nimmt den Bereich der Ernährung in Schulen nicht als eigene Aufgabe wahr – das kommt mir sehr bekannt vor.

Eine Food School zeichnet sich aber nicht nur durch gutes Mittagessen aus, sie bietet auch Projektwochen an, hat einen Schulgarten und organisiert Veranstaltungen wie Food Festivals oder Pop Up Tasting Sessions. Die Madskole arbeitet darüber hinaus mit einem Kartoffelbauern zusammen, von dem sie nicht nur die Kartoffeln beziehen. Die Schülerinnen und Schüler lernen sogar die Arbeit auf dem Hof kennen. Einzelne Kooperationen mit Landwirtinnen und Landwirten sind also möglich; der Fokus auf regionale Lebensmittel ist allerdings schwierig. Das liegt am europaweiten Ausschreibungsverfahren. Bewusst achtet die Madskole aber auf Saisonalität!

Wir hatten auch die Chance, verschiedene Berufsschul-Konzepte kennenzulernen. Das Meyers Madhus arbeitet beispielsweise mit öffentlichen und privaten Partnerinnen und Partnern zusammen, um die gemeinsame Esskultur zu entwickeln. Und die Hotel- und Restaurantschule Kopenhagens hat neben der Küche sogar einen eigenen Garten.

Genauso beeindruckt waren wir vom Besuch des Herlev Gentofte Krankenhaus. Auch hier fühlte es sich wie ein Blick in die Zukunft an. Ernährung wird Medikamenten gleichgesetzt, denn das Krankenhauspersonal ist überzeugt, dass Patientinnen und Patienten sich gesund, ausgewogen und nährstoffreich ernähren sollen. Und die Zahlen geben ihnen recht – Patientinnen und Patienten, denen eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Ernährung angeboten wird, können im Schnitt früher entlassen werden.

Übrigens: In den Tagen haben wir oft gehört „it’s data based“. Das Engagement erfolgt nicht aus dem Bauch heraus, Entscheidungen werden auf Grundlage von Zahlen getroffen.

Dieses Krankenhaus bietet 6.000 verschiedene Mahlzeiten am Tag an, welche eine hochwertige kulinarische Qualität haben und der Mangelernährung entgegenwirken. D.h. sie sind nicht nur ausgewogen, sondern lecker, weil knusprig, frisch, gut gewürzt – was man sich eben unter einer guten Mahlzeit, weniger unter Krankenhausessen, vorstellt. Sie versuchen dazu alle Bedürfnisse zu stillen – religiöse Einschränkungen/Vorlieben, vegetarische und vegane Essensgewohnheiten und besondere Bedürfnisse bspw. für Patientinnen und Patienten mit sensiblen Geschmacksnerven.  Und sie achten insbesondere auf proteinreiche Mahlzeiten, da das gerade bei älteren Menschen oft zu kurz kommt.

Bei Aufnahme eines Patienten werden Essgewohnheiten, Nährstoffbedürfnisse und gesundheitlicher Umstand in einer digitalen Kartei festgehalten. Täglich können alle Patientinnen und Patienten digital vom Bett aus bestellen, was sie essen möchten. Ein Barometer zeigt im Bestellprozess an, ob ausreichend Nährstoffe ausgewählt wurden. Bei einer unausgewogenen Auswahl an Mahlzeiten, werden die Patientinnen und Patienten beraten. Alle Patientinnen und Patienten können das essen, worauf sie Lust haben und was gut für sie ist. Und als positiver Nebeneffekt entstehen weniger Lebensmittelabfälle.

Außerdem konnten die datenbasierten Auswertungen deutlich machen, dass Essen à la Carte die Kosten um 19 Prozent im letzten Jahr reduziert hat. Und das bei steigenden Grundnahrungsmittelpreisen um 20 Prozent im letzten Jahr.

Bei einem Blick in die Krankenhausküche staunen wir nicht schlecht – es gibt einen eigenen Raum, in dem täglich frisches Brot gebacken wird, ein Raum, in dem nur Nachtische produziert werden und ein Raum, in dem nur Fleisch verarbeitet wird. Hier kann sogar geräuchert werden. Auch eine eigene Eismaschine wird in diesem Krankenhaus genutzt. Und nicht zuletzt kommen die Gerichte in der richtigen Temperatur bei den Patientinnen und Patienten an – ob kalt oder warm. Die Essenswägen, hier als Pilot-Konstruktionen, können beides!

Erstaunlich ist: Obwohl die Patientinnen und Patienten alles wählen können – auch Fleisch – zeigen die ersten Ergebnisse, dass mehr pflanzenbasierte Mahlzeiten und weniger Fleisch gewählt werden. Mit den Worten des Nachhaltigkeitsmanagers verlassen wir inspiriert die Krankenhausküche: We give them choices. Choices make the system better.

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